Luftmusik – Lüneburger Landeszeitung

Ich komme aus meinem Schweigen heim

Uraufführung der Kantate „Luftmusik“ in St. Michaelis

Von Heinz-Jürgen Rickert
(Lüneburger Landeszeitung vom 19.11.2019)

Lüneburg. Vögel zwitschern, bedacht mischt sich ein Orgelton hinein, verdichtet sich zu einem Motiv. Ruhe, Innehalten breiten sich aus. Ein Schweben will diese Musik assoziieren, eine flirrende Atmosphäre, auch Lautlosigkeit. Daniel Stickan, der kreative Komponist und Interpret, Dirigent und Arrangeur, hat sie geschrieben und seinem Zyklus über die Elemente einen weiteren Baustein addiert.

Es ist wieder eine wunderbare, von irdischer Last abhebende Kantate geworden, uraufgeführt in der voll besetzten St. Michaeliskirche, hoch konzentriert vom Kinder- und Jugendchor unter Leitung von Dörte Lorkowski vorgetragen. „Lichtmusik“: ein schwer beeindruckender Akzent, der das zeitgenössische Sakralrepertoire bereichert.

Biblische und weltliche Texte verknüpfte Stickan zu einem breit gefassten und christologisch grundiertem Thema, von der Schöpfungsgeschichte im Buch Mose über Zitate aus dem Johannes-Evangelium bis zu Hilde Domin oder Rilkes „Ich komme aus meinem Schweigen heim“. Klug gewählte Worte, die das Staunen über die Welt, den Himmel vermitteln, dabei nie banal wirken oder gefällig.

Den Jugendlichen mutet der Komponist einiges zu. Sie dürfen keineswegs nur eine komplexe Partitur singen, sondern müssen auch punktgenau stampfen, hüpfen, summen, pusten oder pfeifen, um die luftige Energie in wechselnden Spannungsaggregaten auszudrücken. Dörte Lorkowski hatte mit ihrem Chor ausdauernd und emsig geprobt und gefeilt, um die Finessen der Noten auszuloten. Die Vokalisten folgten den präzisen Vorgaben mit perfekter Disziplin und Intonation. Jeden der fünf Teile behielten die Ausführenden souverän im Griff, besonders imposant im mächtig aufgewühlten „Nun kommt der Sturm“.

Die „Luftmusik“ erweist sich als lautmalerisches Füllhorn zwischem tosendem Wind und Stille. Daniel Stickan entwickelte für jede Stimmung eine individuelle Prägung, platzierte melodische Momente wie in „Wolken“ neben Dissonanzen, zarte Geräusche neben donnernden Einsprengseln. Im Zentrum stehen das Klavier, die abwechslungsreichen Chorauftritte und die Beiträge eines Sprechers. Diesen Part übernahm Stephan Jacob mit Bravour, er vitalisierte die Texte. Sie schöpfen häufig aus beiden Testamenten. Das Instrument fungiert dabei zugleich als Begleiter, Impulsgeber oder subtil ausgelegter Resonanzboden für das Gesagte. Mit von der Partie war ebenfalls Holger Lorkowski an der Orgel.

Daniel Stickans neues Werk erwartet beherzten Einsatz, ist sehr anspruchsvoll, ohne dabei die Sänger zu überfordern. Die Kantate empfiehlt sich hervorragend für jugendlich besetzte Chöre, erweitert das Spektrum geistlicher Gegenwartsmusik. Nach zwei Auftritten in St. Michaelis folgen zu Jahresbeginn die CD-Einspielung als Crowdfunding-Projekt und ein Gastspiel im Bremer St. Petri Dom. Das Lüneburger Publikum reagierte euphorisch.