Neue Musik auf alten Orgeln
Neue Musik auf alten Orgeln
Vortrag im Rahmen des Lüneburger Orgelsymposiums 2013
veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Ars Organi“, Heft 2/2014
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In der Diskussion um die Niehoff/Dropa-Orgel in der St. Johannis Kirche in Lüneburg fällt auch der Begriff des „vielseitigen Universalinstrumentes“ als Beschreibung des aktuellen Zustandes. Daraus ergibt sich die Frage, wie sich eine Rekonstruktion eines historischen Zustandes auf das Orgelrepertoire und die damit einhergehende liturgische und konzertante Praxis auswirken würde. Wird man in Zukunft außer Musik der Renaissance und des Barocks gar nichts mehr spielen können oder bleibt der Weg frei für die sogenannte Neue Musik? Anhand der historischen Entwicklung im Orgelbau seit den 20er Jahren in Hinblick auf Neue Musik und anhand stilistischer Merkmale einer kleinen Auswahl wichtiger Kompositionen des 20. und 21. Jahrhunderts möchte ich darauf eine Antwort versuchen.
Meine Betrachtungen konzentrieren sich dabei größtenteils auf den deutschsprachigen Raum. Diese notwendige Einschränkung ergibt sich aus der Tatsache, dass die Charakteristiken des französischen Orgelbaus – um nur ein weiteres Beispiel zu nennen – auch einen eigenständig-nationalen Kompositionsstil förderten und daher gesondert untersucht werden müssten.
Die Zeit kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs stand unter dem Zeichen notdürftiger Reperaturen des noch vorhandenen Bestandes. Mit den Wirtschaftswunderjahren jedoch setzte ein regelrechter Orgelbauboom ein. Die Möglichkeiten der industriellen Fertigung wurden auch im Orgelbau erprobt. So entstanden Fabrikorgeln in einer Mischung aus traditionellen kunsthandwerklichen Elementen des Orgelbaus und als praktisch angesehener technischer Neuerungen. Daneben wurden aber auch Instrumente in der vor dem Krieg erprobten historischen Bauweise der Orgelbewegung gefertigt. Der damit verbundene Hang zur Idealisierung einer traditionsorientierten Bauweise hemmte in Teilen eine weiterführende Entwicklung im Orgelbau und führte durch die Reduzierung auf ein spezielles Klangideal auch zu einer merklichen Repertoireeinschränkung.
In diesem Umfeld wurden Helmut Bornefeld und Siegfried Reda zu wichtigen Impulsgebern im Dialog von Komponisten und Orgelbauern. Ihre Überlegungen wurden von dem Gedanken getragen, dass neue Inspirationen für den Orgelbau auch aus den klangschöpferischen Kräften der Gegenwart zu gewinnen seien. Zur Beförderung des Dialogs veranstalteten Bornefeld und Reda von 1947 – 1960 die Heidenheimer Arbeitstage für neue Kirchenmusik mit dem Ziel zeitgenössische Kompositionen aufzuführen und auch in Hinblick auf orgelbautechnische Fragen zu beleuchten.
Siegfried Redas Interesse in Hinblick auf seine eigenen Kompositionen galt dabei einer hohen Differenzierbarkeit der Klangfarben sowie schnellen Farbwechseln durch elektrische Registratur. Schon damals stellte der Musikwissenschaftler Adam Adrio die berechtigte Frage ob denn „das Instrument dem schöpferischen Geist zu dienen hat oder umgekehrt das Instrument dazu da ist, das componere zu diktieren, das musikalisch Schöpferische in Fesseln zu schlagen.“ Dennoch konnte um nur ein Ergebnis dieses fruchtbaren Dialogs zu nenen, Siegfried Reda mit Karl Schuke einen Orgelneubau in der St. Petrikirche in Mühlheim nach seinen Vorstellungen realisieren.
Nach dem Höhepunkt der Orgelbewegung, also ungefähr seit den 70er Jahren gibt es eine bis heute andauernde Gleichzeitigkeit von ausgeprägter Orgeldenkmalpflege und einer Vielzahl nachgebauter oder eklektizistischer, moderner Instrumente. Daneben entstanden Orgeln exotischer Natur für Neue Musik wie zum Beispiel die Orgel der Kunsttation St. Peter in Köln neben speziellen winddynamischen Orgeln oder sogar Vierteltoninstrumenten.
Diese Pluralität der orgelbautechnischen Ansätze begegnet einer beständig gewachsenen Individualität der kompositorischen Gestaltungsmittel der Neuen Musik für Orgel seit den 50er Jahren. Ein einheitliches stilistisches Konzept im Orgelbau in Hinblick auf Neue Musik ist in Anbetracht des gewachsenen Repertoires kaum mehr herstellbar.
Welche Entwicklung vollzog die Neue Musik im kirchenmusikalischen Kontext im 20. Jahrhundert und wie ist diese Entwicklung in Hinblick auf geeignete und ungeeignete Instrumente einzuschätzen? Musikhistorisch wird der Startpunkt für den Terminus Neue Musik gerne auf 1950 gelegt (auch wenn es davor schon einiges gab, was stilistisch ebenfalls unter diesem Begriff zu fassen ist). In Deutschland hatte die nationalsozialistische Kulturpolitik auch auf die Kirchenmusik maßgeblich reglementierend eingewirkt.
Diese Restriktionen wirkten nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes noch lange nach und erschwerten den Komponisten im kirchenmusikalischen Umfeld den Anschluss an fortschrittliche außerkirchliche Musikentwicklungen. Restaurative Strömungen prägten das kompositorische Schaffen, wodurch sich die Trennlinie zwischen liturgisch-funktionalen und artifiziellen Kompositionen immer weiter verschärfte. Das Bewusstsein von Kirchenmusik blieb in der evangelischen Kirche bei der Barockmusik als vorherrschendem Stil hängen. Dies wiederum bildete ein Vokabular stilistischer Merkmale heraus, welches den überwiegenden Teil der Kompositionen der Nachkriegszeit kennzeichnet. Gegenüber den vorhandenen Kompositionen an Kirchenmusik seit den 20er Jahren wurde noch kein stilistischer Bruch im Sinne einer Avantgarde vollzogen. Polyphonie beispielsweise blieb in der Erinnerung an die großen Meister ein wesentliches Merkmal von sakraler Musik. Dieses Umfeld sollte später Provokationsfaktor einer Avantgarde werden. Vorher jedoch prägten Komponisten wie Joseph Ahrens, Johann Nepomuk David, Karl Höller, Flor Peeters, Hermann Schroeder u.a. das Bild. Ihr musikalisches Vokabular schloss neuere Kompositionstechniken ein, blieb aber im wesentlichen traditionellen Gestaltungsmitteln treu.
In den Stücken von Ahrens und David beispielsweise fanden sich dodekaphone Techniken, quasi als zeitgemäßes kompositorisches Mittel, bei gleichzeitigen traditionsorientierten Formen und traditionsorientierten Registrierungen und Spieltechniken. Registrierungsanweisungen wie: organo pleno, 8′ + cymbel, Prinzipale 8′ + 4′ + 2′, Vox humana 8′ + Quinte 2 2/3 machen deutlich, dass einer klanglichen Realisierung ihrer Werke auf einer historischen Orgel nichts im Wege steht. In Hinblick auf Tonumfänge können noch am ehesten Probleme entstehen, da die Komponisten dieser Zeit sicher größtenteils nicht von den Umfängen von Barockinstrumenten ausgegangen sind. In Hinblick auf Höhe wird es dabei eher noch möglich sein, durch Oktavversetzungen nach unten und in Registrierungen auf 4′-Basis Lösungen zu finden. Wesentlich problematischer wäre eine kurze Oktave im Pedal (und letztlich auch im Manual). Durch den geringeren Ambitus werden im Pedal Oktavversetzungen selten möglich sein und oftmals würde sich die Frage stellen, ob eine komplette Bearbeitung des Stückes die Komposition nicht verfälscht und mit diesem Aufwand möglicherweise niemandem genützt ist. Als ein weiterer Punkt wäre noch die Stimmung des Instrumentes zu nennen, hier ist im Einzelfall und auch nach individuellem Geschmack zu entscheiden, ob der Tonsprache der genannten Komponisten eine historische Stimmung im Weg steht oder vielleicht sogar nützlich ist.
Das traditionsorientierte Komponieren der eben genannten Komponisten resultierte auch aus den Agenden der EKD, wie sie in den 50er Jahren formuliert wurden. Die Musik fand hier vor allem im funktionsgebundenen, liturgischen Rahmen Beachtung. Für eine liturgisch ungebundene Musik blieb nur die Form des geistlichen Konzertes und artifizielle Experimente wurden somit an den Rand gedrängt und nicht in der Breite als wesentliches Element der Kirchenmusik wahrgenommen. Diese Tatsache verhinderte zusätzlich den Anschluss der Orgelmusik an das fortschrittliche Niveau der außerkirchlichen Neuen Musik. Somit kam es in den 50er Jahren, als außerkirchlich bereits eine produktive Avantgarde fruchtbar experimentierte, im kirchlichen Kontext noch zu keinen nennenswerten Neuerungen gegenüber den schon in den 20er Jahren aktiven Komponisten wie Helmut Bornefeld, Harald Genzmer, Kurt Hessenberg, Ernst Pepping, Hugo Distler, Siegfried Reda u.a.. Während deren stilistische Orientierung in den 20er Jahren noch eine gewisse Frische besaß, kann in den 50er Jahren eher von einer Erstarrung der innerkirchlichen Neuen Musik gesprochen werden, von welcher keine innovative Kraft ausgehen konnte.
Die Pflege, Übernahme und Weiterentwicklung traditioneller Formen prägte auch die folgenden Jahrzehnte. Als bedeutende Komponisten eines umfangreichen Orgelwerkes sind exemplarisch Anton Heiller, Petr Eben und Wolfgang Stockmeier zu nennen. Ihre Werke eint ein noch recht konventioneller musikalischer Duktus, in welchen neue Kompositionstechniken (wie z.B. Aleatorik bei Stockmeier) eingearbeitet werden. Traditionelle Formschemata herrschen vor und Spieltechnik sowie Registrierpraxis folgen noch immer traditionellen Vorstellungen.
Solche traditionsorientierte Kompositionen bilden einen bis heute ununterbrochenen, parallel verlaufenden Strang zu den avantgardistischen Experimenten, die gleichsam mit einem Paukenschlag am 4. Mai 1962, bei einem Orgelkonzert im Rahmen der pro musica nova-Tage in Bremen mit Werken von Bengt Hambraeus, Mauricio Kagel und György Ligeti eingeläutet wurden.
Bengt Hambraeus und György Ligeti kamen im gegenseitigen Austausch (Ligeti nennt Hambraeus als maßgebliche Inspiration für den kompositorischen Ansatz für sein Werk Volumina) zu einer gänzlich neuen Verwendung des Instrumentes in Hinblick auf Klang- und Geräuschmöglichkeiten. Auch wenn die Initialzündung für diese Experimente von Hambraeus ausgegangen ist, ist Ligetis Werk Volumina sicher zu einem der wichtigsten und bekanntesten Orgelwerke der 60er Jahre geworden und steht in gewisser Weise exemplarisch für die Neue Musik auf Orgeln in der öffentlichen Wahrnehmung, gleichrangig ist seit jüngster Vergangenheit nur noch das Halberstädter CAGE-Projekt zu nennen. Wie steht es nun um die Realisierbarkeit von Volumina auf einer historischen Orgel? Diese Frage lässt sich leicht anhand der ausführlichen, mehrseitigen Spielanweisungen des Komponisten beantworten. Äußerst detailliert beschreibt Ligeti seine Vorstellung von der spieltechnischen Umsetzung und lässt dennoch die Frage nach einem bestimmten Orgeltyp offen. Da das Stück vollständig graphisch notiert ist (es besteht ausschließlich aus stationären und sich verschiedenartig bewegenden Clustern) und nur an vereinzelten Stellen Tonumfänge genauer definiert sind, welche jedoch auf jeder Orgel realisierbar sind, gibt es keinerlei Beschränkungen durch eventuell vorliegende „historische“ Manual- und Pedalumfänge. Ligeti selbst schreibt: „Die notierten Grenzen der Cluster sind nicht unbedingt verbindlich; die Cluster-Breite kann je nach Beschaffenheit des Orgelmechanismus und der Anzahl der eingeschalteten Register variieren.“ Zur Registratur und Stimmungssystem der Orgel schreibt er: „Bei Orgeln mit mechanischer Registratur kann das Herausziehen bzw. Zurückschieben der Registerknöpfe ad libitum allmählich geschehen, auch an Stellen, wo das im Notentext nicht besonders vermerkt ist: es gilt, die Möglichkeiten der mechanischen Orgel, „Zwischenklänge“ mit Intonationsschwankungen zu erzeugen, möglichst vielfältig auszunützen. Da infolge der Cluster-Technik sowieso komplexe Schwebungen und nicht-harmonische Klangkomponenten zustande kommen und die Klangwelt des gesamten Stückes somit weder harmonisch noch temperiert ist, sind die weiteren durch Spielmöglichkeiten erzeugten „Unreinheiten“ für den Charakter dieser Musik willkommen“. Ligetis Spielanweisungen lassen sich fast als eine Aufforderung lesen, das Werk Volumina auf einer historischen Orgel zu interpretieren. Seine Registerangaben beschränken sich größtenteils auf Fußtonhöhen und bleiben damit sehr allgemein. Wo jedoch konkrete Farben benannt werden, werden sich auf einer historischen Orgel Alternativen finden lassen, die Ligetis kompositorische Absichten nicht verfälschen.
György Ligeti, Bengt Hambraeus und Mauricio Kagel hatten eine konsequente und radikale Negation des klassischen Orgelklanges erreicht. Auf der Grundlage ihrer Arbeiten entstand eine kaum zu überblickende Zahl neuer Orgelkompositionen. Das Moment des Improvisatorischen, welches meist mit graphischer Notation verbunden ist, ragt als bevorzugtes Mittel der Klangerzeugung hervor. Neue Spieltechniken mit ganzer Hand, Unterarmen usw. ergaben sich aus der häufig anzutreffenden Clustertechnik. Mikrotonale Zustände resultierten aus Manipulationen am Windsystem, entweder direkt am Gebläse oder mit Hilfe von halbgezogenen Registern. Das Komponieren von durch Menschenhand nicht mehr greifbaren stationären Liegeflächen erfordert teilweise technische Hilfsmittel zum Arretieren der Tasten.
All diese Aspekte erfordern jedoch keinen bestimmten Orgeltypus. In Hinblick auf Barockorgeln ließe sich sogar sagen: das Grundsätzliche Vorhandensein einer mechanischen Registratur und die zahlreichen, farbigen Register, kommen der Umsetzung dieser Werktypen wohl eher entgegen als eine romantische Orgel mit pneumatischer Traktur und Registratur.
Die avantgardistische Weitung der musikalischen Sprache in den 60er und 70er Jahren entwickelte sich auch, wie Anfangs schon erwähnt, in der Abgrenzung gegenüber den eher in Anlehnung an die Tradition entstandenen Kompositionen. Durch diesen Provokationsfaktor wurde eine gemeinsame ästhetische Orientierung ermöglicht. Als durch die zahlreichen Arbeiten der 60er und 70er Jahre dieser Provokationsfaktor an Inspirationskraft verlor, schwanden auch die verbindlichen Konventionen in den kompositorischen Gestaltungsmitteln der Kompositionen. So lässt sich ab den 80er Jahren, in denen immer noch eine Vielzahl an neuen Orgelwerken geschaffen wurde, eher eine individualistische, gleichsam unstrukturierte Vielfalt beobachten. Daraus ergibt sich wiederum auch zwingend, dass der Vielfalt der vorhandenen Kompositionstechniken auch eine Vielfalt an möglichen Orgeltypen begegnet. Damit wiederum ist auch die Frage beantwortet, ob das Repertoire dieser Zeit durch die Eigenschaften einer rekonstruierten Barockorgel beschränkt wird. Sicher werden einige Werke Probleme aufwerfen, wenn es um die Frage der Pedal- und Manualumfänge geht. Andere Werke wiederum werden durch die möglichen Manipulationen an der Registratur begünstigt. Werke, die besonders auf dynamische Übergänge setzen und ein oder gar zwei Schwellwerke erfordern, werden kaum zu realisieren sein. Andere Werke, mit klassischen Texturen und Farbvorstellungen werden möglicherweise auf einer Werkorgel besser zu realisieren sein, als auf einer Orgel mit romantischer Konzeption.
Die Weitung der kompositorischen Sprache seit den 80er Jahren führte auch zu einer besonderen Form der Neuen Musik: der Repetitiven Orgelmusik, Neuen Einfachheit oder Minimal Music. Ein wichtiges Werk, welches allerdings schon Ende der 70er Jahre entstand, kann als Startpunkt einer produktiven neuen Richtung angesehen werden: Arvo Pärts Komposition „Pari Intervallo“. Dieses Werk, ursprünglich für 4 Blockflöten geschrieben existiert auch in einer Version für Orgel. Seltsamerweise ist das Original in c-moll komponiert und geht über einen Umfang bis c³ nicht hinaus, während die Orgelversion in es-moll steht und damit für ein historisches, temperiert gestimmtes Instrument schon wesentlich problematischer ist. Sein Werk „Mein Weg hat Gipfel und Wellentäler“ lässt sich hingegen mit dem Tonumfang einer Barockorgel schwer realisieren. Es setzt einen Manualumfang bis g³ voraus und einen Pedalumfang bis f‘. Oktavversetztes Spiel ist wegen des großen Ambitus der Komposition nicht möglich. Der Tonumfang stellt auch für weitere Kompositionen dieser Schreibart das Hauptproblem da und nicht immer wird ein oktavversetztes Spiel möglich sein bzw. das klangliche Ergebnis überzeugen. Dennoch bleibt es sehr reizvoll und passend diese Art von Neuer Musik auf einer Barockorgel zu realisieren und Lösungen für die Umsetzung zu finden. Um noch einmal auf Arvo Pärt zu kommen: Ein Wesensmerkmal seiner Musik ist schließlich (und das gilt ebenso für die Werke von Peteris Vask, Bert Matter, Erland Hilden, Erkki-Sven Tüür u.a.), dass sie sich auch auf die harmonische Sprache der alten Musik beziehen. Der Umgang mit Konsonanz und Dissonanz und die Wahl der Tonarten korrespondiert meist sehr gut mit einem temperiert gestimmten Instrument. Des Weiteren ist eine Eigenheit dieser Musik ihr Einsatz von repetitiven Figurationen, die eine sprechende Intonation am Instrument voraussetzen. Die schnellen Sechzehntelketten einer Philip Glass Komposition zum Beispiel entfalten an einem barocken Instrument eine wesentlich überzeugendere Wirkung als an Instrumenten der romantischen Periode. Zusätzlich haben viele der genannten Komponisten eine starke Verbindung zur alten Musik. Neues und Altes begegnen sich somit auch in einem transzendenten Feld ästhetischer Gemeinsamkeiten. Möchte man die Sache auf die Spitze treiben: die Barockorgel ist wohl der am besten geeignete Orgeltyp für diese musikalische Stilistik.
Neben dieser sehr speziellen Art von Musik entstanden seit den 80er Jahren Kompositionen von wichtigen Vertretern der Neuen Musik, wie Morton Feldmann, Mauricio Kagel, George Crumb, John Cage, Wolfgang Rihm oder Luciano Berio. Ihnen allen gemein ist, dass sie aus dem außerkirchlichen Bereich kommen und keine Organisten-Komponisten sind (abgesehen von Wolfgang Rihm, der als junger Mensch Orgel spielte). Ebenso eint sie die Besonderheit, dass sie zwar glücklicherweise Orgelkompositionen hinterlassen haben, das Oeuvre aber gleichzeitig auch erschreckend klein blieb und sich nur auf eine handvoll Kompositionen beschränkt. Einige der hinterlassenen Werke werden sich auf einer Barockorgel nicht gut realisieren lassen: die Werke „Principal Sound“ von Feldmann, „Rrrrrrrr…“ von Kagel sowie „Bann, Nachtschwärmerei“ von Rihm setzen allesamt dynamische Übergänge voraus, wie sie nur durch ein Schwellwerk oder sogar den Einsatz einer Walze (bei Rihm) oder eines Tutti-Schalters realisierbar sind.
Das Werk von George Crumb geht eigentlich von einer Orgel mit Tonumfang bis C4 aus, wobei Crumb schon im Notentext Oktavierungen und 8′ statt 16′ Registrierungen vorschlägt. Dennoch bleibt die Umsetzung auch durch eine besondere Steigerung am Schluss auf einer Barockorgel kompromisshaft und bei Vorhandensein einer kurzen Oktave insbesondere im Pedal nicht mehr spielbar.
Die genauere Betrachtung der zeitgenössischen Orgelmusik fördert eine ungeheure Bandbreite ihrer Erscheinungsformen zutage. Die unterschiedlichsten kompositorischen Ansätze machen deutlich, dass es eine Orgel für neue Musik als konkreten Stil im Orgelbau nicht geben kann. Zwar suggerieren Instrumente wie die Orgel der Kunststation St. Peter in Köln, dass eine Orgel für Neue Musik über gewisse, exotische Klangmöglichkeiten verfügen müsse. Auf einem Symposium über die Wechselwirkung von Neuer Musik und Orgelbau im Rahmen des Future Pipes Festivals in Frankfurt am Main forderte ein Orgelsachverständiger eine Winddrossel für jede neue Orgel. Wenn ich jedoch daran denke, dass Ligeti vor nun schon fast 50 Jahren Experimente mit Winddruckmanipulationen durchführte, erscheint mir die starke Fokussierung auf den Aspekt der Klangmanipulation wenig avantgardistisch. Und wenn es denn unbedingt Musik mit Winddruckveränderungen sein soll, dann greift heutzutage manch ein Experte für Neue Musik zur mobilen Winddrossel, die dann an den Stromkreislauf des jeweiligen Orgelgebläses angeschlossen werden kann. Auf demselben Symposium wurde im Übrigen auch deutlich, dass heutzutage viele Komponisten ein großes Interesse daran haben, Musik für einen bestimmten Raum und das darin befindliche Instrument zu schaffen. Ob dieser Ansatz nicht auch eine weitere Sackgasse sein könnte in Hinblick auf die Verbreitung Neuer Musik, sei dahingestellt. Für einen anderen Weg möchte ich exemplarisch den belgischen Organisten und Komponisten Bernard Foccroulle nennen. Er schreibt im Begleittext einer CD, welche das Werk „Fanfaren“ des belgischen Komponisten Philippe Boesmans (er ist der Hauskomponist der Brüsseler Oper und ausgebildeter Organist) enthält, im übrigen ein Werk mit starkem Vergangenheitsbezug durch Rückgriff auf die Messe de nostre dame von Guillaume de Machaut: „Ich habe es dutzende Male gespielt und zwar sowohl auf historischen Orgeln des Nordens sowie auf Cavaillé-Coll-Orgeln oder auf neoklassischen Instrumenten. Jedes Mal konnte ich feststellen, wie sehr dieses visionäre Werk die besondere Klangfarbe des jeweiligen Instruments annahm und ihm gleichzeitig neue Wege eröffnete.“ Foccroulle selbst ist ein Paradebeispiel eines komponierenden Organisten, der in seinen Werken einen starken Vergangenheitsbezug aufweist. Viele seiner Stücke sind, obwohl sie ohne Frage eine zeitgenössische Textur besitzen, gleichsam für historische Instrumente komponiert und erfordern historische Registerkombinationen. Beispielhaft ist sein Werk „Spiegel“ (6 Verse als ein Dialog zum Salve Regina von Arnold Schlick). Das Stück wurde für die Chororgel der St. Laurenskerk in Alkmaar komponiert und von Arnold Schlicks Kompositionsweise inspiriert. Foccroulle schreibt: „Ich habe versucht, den melodischen Aspekt von Schlicks Kompositionen auf mein Werk zu übertragen. Darüber hinaus habe ich mich von den verschiedenen Ornamentierungen, der Behandlung des Cantus Firmus und durch die Fauxbourdon-Technik inspirieren lassen. Der letzte Vers ist eine Hommage an Schlick’s Komposition Ascendo ad Patrem“. Ein weiteres Beispiel für die Möglichkeit, Neue Musik auf alten Orgeln zu spielen ist die Sammlung „Nuovo Fiori Musicali“, erschienen im Doblinger-Verlag. Hier wurde eine Sammlung an neuen Werken herausgegeben, welche speziell für verschiedene historische Orgeln und unter Berücksichtigung ihrer jeweils besonderen Eigenschaften komponiert wurden.
Ich glaube, dass dieser kompositorische Ansatz noch viel ungenutztes Potential besitzt in Hinblick auf die große Vielfalt historischer Instrumente, die mittlerweile in hervorragendem Zustand zur Verfügung stehen. Von daher glaube ich daran, dass auch eine möglicherweise rekonstruierte Barockorgel in St. Johannis mit ihren Klangeigenschaften und spielästhetischen Vorzügen noch zu zahlreichen guten Kompositionen Neuer Musik anregen kann.